Ebbe und Flut – der Einfluss des Mondes auf die Gezeiten

An den Küsten lässt sich täglich ein bemerkenswertes Schauspiel beobachten: Dort, wo vor wenigen Stunden noch Land („Watt“) war, kommt es zur Flut, später kehrt sich das ganze zum. Zweimal am Tag kommt es zur Flut und zweimal zur Ebbe. Selbst mitten auf dem Meer kommt es, wenn auch weniger stark, zu einem Steigen und Sinken des Wasserstandes.

Das Wechselspiel aus Ebbe und Flut nennt man Gezeiten. Wer es maritimer ausdrücken möchte, redet von Tiden. Die Gezeiten sind das Resultat eines sehr komplexen Zusammenspieles verschiedener Körper und Kräfte. Neben kosmischen Kräften haben irdische Dinge wie geographische Formationen, Wetter etc. einen großen Einfluss auf seine Ausprägung, wenn auch nicht die Entstehung. Noch komplizierter wird es, bezieht man in seine Überlegungen auch die geneigte Erdachse die relativ zur Erdbahn gekippte Mondbahn ein. Sicherlich ist das alles wichtig, um Gezeiten umfassend zu verstehen und Voraussagen zu machen, jedoch steigen die Verständnisschwierigkeiten im selben Maße, wie die Komplexität steigt, wenn alle möglichen Determinanten Berücksichtigung finden. Die Entstehung der Gezeiten und ihre Grundzüge lassen sich indes mit etwas elementarer Astrophysik erklären und sind nicht allzu kompliziert.

Gravitationskraft

Körper ziehen sich gegenseitig an. Das gilt ausnahmslos für alle Körper – für kleinste, besonders aber für große. Genauer ausgedrückt, sind es Massen, die sich gegenseitig anziehen. Diese Anziehungskraft nennt man auch Gravitationskraft, was einfach nur das Fremdwort für „Anziehungskraft“ ist. Der Mond als ein sehr großer (und massereicher) Körper hat eine große Gravitationskraft, die Erde hat mehr Masse und dementsprechend eine noch größere Gravitationskraft.

Rotationskräfte

Die Erde zieht also den Mond und der Mond die Erde an, zusammenprallen tun sie dennoch nicht. Erde und Mond sind unabhängig voneinander initial in Bewegung. Eine Bewegung besteht aus einer Richtung und einer Geschwindigkeit, und diese Kombination lässt sich mathematisch mit einem Vektor beschreiben.

Bewegen sich zwei Kraftwagen entgegengesetzt auf den Fahrbahnen, verlaufen die Richtungen der beiden Vektoren genau entgegengesetzt, und es passiert nichts weiter. Haben aber zwei Körper ausreichend große Massen und Initialgeschwindigkeiten, so kommt es zur Umkreisung des größeren Körpers durch den masseärmeren. Die Gravitationskraft des massereicheren Körpers wirkt bei der Rotation als sogenannte Zentripetalkraft, die dafür verantwortlich ist, dass sich die Körper nicht voneinander entfernen (umgekehrt übt der kleinere Körper dieselben Kräfte aus, nur eben geringer). Die Zentripetalkraft leitet sich von den lateinischen Wörtern „centrum“ (Mittelpunkt) und „petere“ (nach etwas streben) ab. Etwas strebt demnach zu einem Mittelpunkt.

Die Folge der Zentripetalkraft (die isoliert aber gar nicht bestünde) wäre der „Unfall“, der Zusammenprall der beiden Körper. Dass es nicht dazu kommt, liegt an der Zentrifugalkraft. Die ursprünglichen Bewegungen der beiden Körper lösen sich nicht einfach ins Nichts auf, sie erhalten sich als Zentrifugalkräfte. „Fugere“ ist ein lateinisches Verb und steht für „fliehen“. Die Zentrifugalkraft lässt sich als Fliehkraft beschreiben. Etwas flieht vor dem Mittelpunkt.

Das Zusammenspiel der beiden Kräfte (Zentripetalkraft und Zentrifugalkraft) ergibt eine stabile „Kreisbahn“, auf der der kleinere Körper den größeren Körper umkreist. Man spricht umgangssprachlich davon, dass die Erde die Sonne umkreist und der Mond die Erde. Das ist auch in dem Kontext in Ordnung, eigentlich „umellipsen“ sie aber. Es sind nämlich keine Kreisbahnen, sondern gekrümmte Bahnen, also Ellipsen, auf denen sich Himmelskörper bewegen. Die Achse der Rotation, auf den sich die Zentripetalkraft richtet, ist nicht der Mittelpunkt des größeren Körpers, sondern ein sich verschiebender Punkt. Dazu kommt es, weil sich in Wahrheit nicht der eine Himmelskörper (Mond) um den anderen (Erde) dreht, sondern sich beide Himmelskörper, Mond und (!) Erde, um einen geteilten Masseschwerpunkt drehen. Das kommt daher, dass nicht nur der massereichere Körper (Erde) den masseärmeren (Mond) anzieht, so dass sich dieser um ihn dreht, sondern auch umgekehrt der masseärmere den massereicheren anzieht, so dass dieser hin und her wackelt, sein Schwerpunkt im Zweikörpersystem also nicht mehr dem eigenen Schwerpunkt entspricht. Bezogen auf den Mond, ist dieser deswegen mal der Erde näher, mal ist er ferner. In Abhängigkeit von der Entfernung erhöht sich in Erdnähe seine Geschwindigkeit, in Erdferne sinkt sie. „Umellipsen“ klingt komisch, „umlaufen“ ist ein besseres Wort. In der Astronomie spricht man daher auch von Umläufen, Umlaufbahnen (Orbit) und Umlaufperioden (Dauer eines Umlaufes).

Der Mond zieht das Meerwasser an

Beobachten lässt sich die Anziehungskraft des Mondes beim Wasser, allerdings nur bei gewaltigen Wassermengen, nämlich in den Weltmeeren wie dem Atlantik und abgeschwächt in Randmeeren wie der Nordsee. Hier lässt sich tatsächlich der Einfluss des Mondes mit eigenen Augen erkennen. Das Wasser auf der dem Mond zugewandten Erdseite bildet eine „Beule“. Dieser sogenannte Flutberg ist die unmittelbare Folge der Gravitationskraft des Mondes.

Die Erde dreht sich in (derzeit knapp) 24 Stunden einmal um sich selbst. Stünde der Mond in einer festen Position, würde jeden Tag jeder Landstrich der Erde einmal unter diesem Flutberg hindurchwandern. Tatsächlich würde das nicht passieren, weil das Wasser der Meere wie in einem Schwimmbecken hin und her schwappt, indem es von den Küsten aufgehalten und „zurückgeschubst“ (reflektiert) wird, das spielt an dieser Stelle aber keine Rolle.

Tatsächlich kommt es jeden Tag zweimal zur Flut. Warum das? Erstaunlicherweise gibt es nicht nur einen, sondern zwei Flutberge. Der eine ist auf der dem Mond zugewandten Seite der Erde, der andere ist genau entgegengesetzt.

Er ist der interessantere. Und für ihn gibt es gleich zwei Erklärungen.

Unterschiedliche Zentrifugalkräfte

Nach der älteren Theorie, die heute als überholt gilt, entsteht der zweite Flutberg nicht als Folge von Anziehungskräften, sondern als Folge der Fliehkraft. Die Erde dreht sich um sich selbst. Die Zentrifugalkraft würde dazu führen, dass sich das Wasser gleichmäßig überall hebt, die Zentralkraft (die auf den Erdmittelpunkt gerichtete Kraft) dazu, dass es dabei aber nicht die Erde verlässt und in alle Richtungen des Weltalls „geschleudert“ wird. Während „jegliches“ Wasser der Erde vom Mond angezogen wird – natürlich auch das auf der ihm abgewandten Seite –, wirkt zugleich jederzeit die Zentrifugalkraft ein. Es wurde bereits gesagt, dass es sich bei der Umlaufbahn des Mondes um die Erde um keinen Kreis handelt und der Schwerpunkt deshalb nicht der Erdmittelpunkt ist. Der Schwerpunkt liegt knapp 4.000 Kilometer verschoben (aber noch auf der Erde). Nach der veralteten Theorie führt dies dazu, dass nicht überall auf der Erde Zentralkraft und Zentrifugalkraft gleich sind. Zugleich überwiegt dabei nach diesem Erklärungsversuch auch jeweils die Gravitationskraft des Mondes die Zentralkraft oder die Zentrifugalkraft die Gravitationskraft des Mondes, auf der dem Mond zugewandten Seite ist es seine Anziehungskraft, auf der abgewandten Seite die Fliehkraft. Dazwischen bilden sich die Ebben, was man sich wie zwei gigantische Staubsauger vorstellen kann, die alles in Richtung Mond und in die entgegengesetzte Richtung abziehen. Somit kommt es zweimal am Tag zur Flut, alle zwölf Stunden.

Gezeitenkräfte: unterschiedliche Differenzen der Gravitationskräfte

Die Astrophysik erklärt die Gezeitenkräfte heute entgegen der älteren Theorie einzig als Folge der Gravitationskräfte, die gegenseitig wirken und auf Oberfläche wie Körperinneres einwirken. Die Ausprägung differiert nach der Entfernung. Man bezeichnet dies als differentielle Gravitation (des Mondes), je nach Punkt auf der Erde in der Stellung zum Mond variiert seine Anziehungskraft. Die Differenz aus beiden Gravitationskräften ist die Gezeitenkraft, die an einem Punkt zu einer bestimmten Zeit wirkt. Demnach gibt es nicht eine Gezeitenkraft, sondern (unendlich) viele. Die größte Ausprägung erfährt sie in Konjunktion und in Opposition, also an der maximal zugewandten Stelle und der maximal abgewandten Stelle von einem anderen Körper: In Richtung zum Mond wirkt die Gravitationskraft des Mondes maximal, das heißt, die Differenz aus Anziehungskraft des Mondes und entgegengesetzter Anziehungskraft der Erde, genauer der Anziehungskraft des Mondes, die an diesem Punkt wirkt, ist maximal, eine zum Mond hin positive Kraft; im Mittelpunkt heben sich die entgegengesetzten Kräfte auf, man spürt die Anziehungskraft des Mondes nicht, obwohl sie wirkt; auf der mondabgewandten Seite tritt wiederum ein Maximum ein, hier überwiegt die Gravitation der Erde, die Differenz ist negativ, also eine abstoßende Kraft, somit wird an diesem Punkt alles, eben auch das Wasser der Weltmeere, vom Mond abgestoßen. In einem solchen Zweikörpersystem herrscht entgegen der Annahme der Zentrifugalkrafttheorie an jedem beliebigen Punkt dieselbe Zentrifugalkraft, die zwar auf die Gezeiten einwirkt, aber weder eine entscheidende Rolle spielt, noch ursächlich für sie ist. Ursächlich sind einzig die Gravitationskräfte beider Himmelskörper und die aus ihrer Subtraktion entstehenden Gezeitenkräfte. Erklärt wird dies damit, dass es sich bei einem Zweikörpersystem um keine Rotationsbewegung, sondern um eine Umwälzbewegung handelt. Bei einer solchen Bewegung unterscheiden sich zwar die Mittelpunkte der Kreisbewegung aller Punkte, nicht jedoch die Form der jeweiligen Bahn. Für jeden Punkt gilt, sie hat denselben Radius, dieselbe Geschwindigkeit und schließlich auch dieselbe Zentrifugalkraft, da sie ja tatsächlich eine Scheinkraft bei der Rotation ist.

Und er dreht sich doch

Der Mond steht nicht fix zur Erde, wie es oben vereinfachend angenommen wurde, er umläuft sie, und zwar in einem Monat. Aber dieser Monat ist nicht gleich dem Kalendermonat, sondern etwas kürzer. Zudem ist die Umlaufzeit sogar abhängig vom gewählten Bezugssystem. Man spricht von einer siderischen Umlaufzeit (bezogen auf die Bahngeometrie, sie ist die kürzere) und einer synodischen Umlaufzeit (den Bezug bilden Erde und Sonne, sie ist die längere). Genaueres zu den beiden Umlaufperioden sind unserer Übersicht Monddaten zu entnehmen.

Der Erdumlauf führt dazu, dass sich die Flut nicht genau alle zwölf Stunden wiederholt, sondern es etwas länger dauert, bis es erneut zur Flut kommt, denn während der Rotation der Erde bewegt sich der Mond auf seiner Umlaufbahnweiter. Der Punkt der Erde, der zwölf Stunden zuvor Flut hatte, muss sich noch ein kleines Stück weiterdrehen, um in Opposition zum Mond zu stehen. Bei der nächsten Flut sind es wiederum etwas mehr als zwölf Stunden, bis er wieder in Konjunktion steht. Nehmen wir vereinfachend an, der Mond benötigte genau 24 Tage für einen Umlauf um die Erde, verschöbe sich diese Position täglich um genau eine Stunde. Der Mond benötigt aber einige Tage mehr, es sind rund 28. Die tägliche Verschiebung des Zeitpunktes, bis ein Ort wieder dieselbe Stellung zum Mond hat, sind demnach ganz grob 24 Stunden / 28 = 50 Minuten. Da es sich um zwei Punkte mit Flutbergen handelt, sind es also 50 Minuten / 2 = rund 25 Minuten. Also beträgt die Dauer von Flut zu Flut bzw. Ebbe zu Ebbe rund zwölf Stunden und 25 Minuten.

Die Gezeiten in der Biochemie

Der Mond mag zwar jederzeit einen Einfluss auf jeglichen Körper auf der Erde haben, einen nennenswerten Effekt hat dies aber überwiegend nicht. Nur bei gewaltigen Massen wie den Weltmeeren ist überhaupt ein Effekt zu beobachten, schon in einem nicht gerade kleinen Binnenmeer wie dem Mittelmeer sind (so gut wie) keinerlei Gezeitenkräfte zu beobachten.

Das hält Menschen nicht davon ab, dennoch Einflüsse der Gravitation des Mondes auf Lebewesen zu behaupten, die sie schließlich in so von ihnen genannten Mondkalendern fixieren, die mit einem echten Mondkalender oder zumindest einem Mondkalender der Mondphasen, der frei von jeglichem Hokuspokus ist, fast nichts gemein haben. Da Lebewesen überwiegend aus Wasser bestehen, sei doch einsichtig, dass das Wasser in den Körperzellen vom Mond angezogen werde. Das ist sogar richtig, alles wird vom Mond angezogen, aber eben auch umgehrt, der Mond wird auch von den Lebewesen, den Meeren, der Erde angezogen. Einen Effekt zeitigt dies erst, wenn gewaltige Massen aufeinander einwirken, dann kommt es zu einem Umschlagen von Quantität in Qualität. Das betrifft die Weltmeere, insbesondere die Küsten mit ihrer geringen Wassertiefe, wo es zu Tideunterschiede von mehreren Metern kommt. Das betrifft die Erdkruste, die vom Mond bis zu 50 cm deformiert wird. Das betrifft sogar eine dauerhafte Verformung des Mondes, den die Gezeitenkraft zu einem Ei formte, der an die Erde gebunden rotiert (die sogenannte gebundene Rotation bedeutet, eine Himmelskörper benötigt für die Eigenrotation wie die um einen anderen Körper gleichlang; die Ursache dafür sind die Gezeitenkräfte, eine Folge ist, dass man stets dieselbe Seite von dem anderen Himmelskörper aus beobachtet, die andere Seite jedoch verborgen bleibt, mehr dazu unten). Alles vor dem Erreichen des kritischen Punktes ist jedoch effektlos, man wird auch in der nächsten Zukunft kaum Ebbe und Flut im Wasserglas oder der Kaffeetasse beobachten können.

Die Mondphasen und ihr Einfluss auf die Gezeiten

„Mondphase“ ist ein üblicher, jedoch irreführender Begriff für die wechselnden Lichtgestalten des Mondes. Währen der unterschiedlichen Mondphasen ist von der Erde aus unterschiedlich viel vom Mond zu sehen. Die unterschiedliche Sichtbarkeit sagt aber keineswegs etwas über den jeweils aktuellen Abstand von Erde und Mond oder gar eine Absenz des Mondes aus. Der Mond ist immer da, auch zu Neumond, somit haben die unterschiedlichen Sichtbarkeiten des Mondes zu Neumond, Halbmond, Vollmond oder auch an Finsternissen keinerlei Einfluss auf die Gezeiten. Der Mond bewirkt unabhängig davon täglich die Gezeiten, wie schon beschrieben, kommt es alle 12,5 Stunden zur Flut bzw. Ebbe.

Die Gravitationskraft der Sonne

Die Sonne als Zentralgestirn ist im Vergleich zur Erde und erst recht im Vergleich zum dazu „winzigen“ Mond gigantisch groß. Man darf also annehmen, auch sie spielt eine Rolle bei den Gezeiten, vielleicht sogar die Hauptrolle. Nun, dazu langt es nicht, sie hat zwar eine viel größere Gravitationskraft als der Mond, die Gezeitenkräfte entstehen aber aus der Differenz, und dabei spielt wiederum die Entfernung eine Rolle. Da der Abstand zwischen Erde und Sonne sehr groß ist, viel größer als der zwischen Erde und Mond, ist ihre Gezeitenkraft viel kleiner als die, welcher der Mond auf der Erde ausübt. Sie ist ungefähr halb so groß. Die Hauptrolle spielt der Mond. Aber die Sonnenrolle spielt dennoch eine wichtige Rolle. Je nach Stellung der Konstellation Sonne–Erde–Mond ergänzen sich die Gravitationskräfte von Sonne und Mond oder schwächen sich gegenseitig. Eine Ergänzung führt zu Springfluten, das sind sehr hohe Fluten (und extreme Ebben). Eine gegenseitige Abschwächung führt zu Nippfluten, verhältnismäßig niedrigen Fluten (und einem hohen Wasserstand während der Ebbe).

Es kommt zur Ergänzung, wenn sich Sonne, Erde und Mond in einer Linie befinden. Es spielt keine Rolle, ob sich der Mond in Konjunktion oder Opposition befindet, da es zwei Flutberge gibt. Die beiden Konstellationen entsprechen Neumond (Sonne–Mond–Erde) und Vollmond (Sonne–Erde–Mond). Steht der Mond orthogonal zur Linie Sonne–Erde, kommt es zur gegenseitigen Abschwächung. Das ist der Fall während der Mondphasen zwischen Neumond und Vollmond (Viertelmond, Halbmond etc.).

Die Gezeiten auf dem Mond

Auf dem Mond gibt es kein Wasser. Auch wenn man das in früheren Jahrhunderten noch so annahm, hat die moderne Wissenschaft geklärt, dass es sich bei den sogenannten Maren (lateinisch mare, Pl. maria = Meer) tatsächlich lediglich um Lavadecken handelt. Würde es Wasser auf dem Mond geben, wären dieselben Abläufe von Ebbe und Flut wie auf der Erde beobachtbar, und das sogar ausgeprägter, weil die Erde als der massereichere Körper eine größere Gravitationskraft als der Mond hat.

Die Gravitationskraft der Erde hat indes bereits viel „verheerender“ gewirkt. Die ständige Verzerrung des Mondes in Richtung der Erde, der infolge der Eigendrehung des Mondes der gesamte Himmelskörper ausgesetzt war, führte zu gigantischen Umwandlungen von Bewegungsenergie in thermische Energie. Dieses Walken verlangsamte die Rotation des Mondes immer mehr, bis sich ein Gleichgewicht eingestellt hat: Es kam zur gebundenen Rotation. Eine gebundene Rotation liegt bei einem Zweikörpersystem vor, wenn die normalerweise ungekoppelte Eigenrotation des in der Regel masseärmeren Körpers so weit an Geschwindigkeit verliert, dass es zu einer Kopplung an die Umlaufperiode um den anderen Körper kommt. Nimmt man den Mond als Beispiel, so beträgt die Umlaufperiode vereinfacht 30 (Erd-)Tage. Genauso lange dauert es, bis sich der Mond einmal um sich selbst gedreht hat, was zur Folge hat, dass wir von der Erde aus immer nur ein und dieselbe Seite beobachten können, was bei einer ungebundenen Rotation des Mondes nicht der Fall wäre (und früher auch nicht war).

Gezeitenreibung auf der Erde

Das beschriebene Phänomen nennt man Gezeitenreibung. Ihre Folge ist die Verlangsamung der Eigendrehung, also die Verlängerung des Tages. Dieser Vorgang endet, sobald der anziehende Körper und der Flutberg auf dem angezogenen Körper eine Linie bilden, die Reibung hebt sich auf.

Auf dem Mond ist dies bereits geschehen, weil die Erde eine größere Gezeitenkraft bewirkt. Erde und „Flutberg“ auf dem Mond (Verformung) bilden eine Linie. Auch umgekehrt wird es passieren. Mond und Flutberg auf der Erde bilden noch keine Linie, infolge der Drehung der Erde reibt sie am Flutberg und reißt ihn mit, somit ist der Flutberg nicht exakt unter dem Mond, sondern stets ein Stück „voraus“ (und auf der mondabgewandten Seite ein Stück „zurück“). Dieser Flutberg zieht seinerseits den Mond an, wenn auch mit einer vergleichsweise geringen Gravitationskraft. Sie ist aber da und führt zur Beschleunigung des Mondes, das heißt, der Orbit vergrößert sich, der Mond entfernt sich also derzeit permanent von der Erde. Abgesehen von den „natürlichen“ Schwankungen seines Abstandes vergrößert sich der Abstand von Erde und Mond jährlich um vier Zentimeter.

Der Mond wiederum „bremst“ den „vorauseilenden“ Flutberg auf der Erde und zieht in wieder zurück. Dadurch reibt der Flutberg auf der Erde an der Erde selbst, wodurch sie sich immer langsamer bewegt, wenngleich das sehr, sehr lange dauert, bis es sich bemerkbar macht. Vor 400 Millionen Jahren dauerte der Erdtag 22 Stunden, das Jahr (ein Umlauf der Erde um die Sonne) bestand deswegen aus viel mehr Tagen, nämlich 400 Tagen. Heute dreht die Erde langsamer, der Tag dauert 24 Stunden, somit sind es weniger während eines Jahres (nämlich grob 365 Tage).

Dieser Prozess wird weitergehen, solange sich der Mond von der Erde entfernt und die Gezeitenreibung die Erdrotation verlangsamt. Jährlich verlängert sich der Erdentag um 17 Mikrosekunden, infolgedessen das Jahr „kürzer“ wird (das heißt, ein Jahr besteht aus immer weniger Tagen, der Zeitraum als solcher ändert sich deswegen nicht). Umgekehrt wird der Monat länger (mehr Tage), da die Umlaufbahn des Mondes um die Erde wegen des steigenden Abstandes jährlich zunimmt. Der Mond wird sich dann nicht weiter von der Erde entfernen, wenn der Flutberg genau unter ihm steht. Das dann eintretende Gleichgewicht ist die gebundene Rotation, bei der es keine Gezeitenreibung mehr gibt. Die Erde als der massereichere Körper (80 Mondmassen) hat dies bereits auf dem Mond bewirkt. Im Ergebnis sehen wir (siehe oben) stets dieselbe Seite des Mondes. Wenn der Mond dasselbe auf der Erde bewirkt haben wird, wird man auch vom Mond aus stets nur noch eine Seite der Erde sehen können.

Gezeitenreibung und Sonnenfinsternis

Die Gezeitenreibung führt zu einem weiteren Phänomen. Wir sehen Sonnenfinsternisse als Folge davon, dass der Mond zwischen Sonne und Erde steht. Obwohl er viel kleiner ist, kann er die Erde verdunkeln. Warum? Weil er der Erde viel näher als die Sonne ist. Durchmesser von Mond und Sonne erscheinen uns auf der Erde gleichgroß, obwohl sie es nicht sind, der Mond ist ja sogar kleiner als die Erde. Man nennt dies scheinbare Durchmesser. Sie sind das Ergebnis der unterschiedlichen Abstände von Mond und Sonne zur Erde.

Wenn sich der Mond allmählich von der Erde entfernt, wird er nachfolgenden Generationen viel kleiner erscheine (wie er unseren Altvorderen noch größer als heute erschien). Der scheinbare Durchmesser wird schrumpfen, und damit wird der Mond nicht mehr komplett die Erde bei einer Sonnenfinsternis verdunkeln können. Solange man noch totale Sonnenfinsternisse erleben kann, sollte man sich von ihnen beeindrucken lassen, sie haben ein Ablaufdatum in nicht allzu ferner Zukunft.